Schmidt sucht Schmidtchen: ein Klassiker in vielen Unternehmen

Wir Menschen lieben Dinge, die uns vertraut sind

und freuen uns, wenn wir dieses Gefühl der Vertrautheit auch im Umgang mit noch unbekannten Menschen spüren. Das ist total menschlich, total normal, fast immer erstmal unbewusst – blöderweise aber wenig hilfreich in der Auswahl von neuen Mitarbeitenden oder in der Zusammensetzung von Teams.

Denn wir neigen dazu, uns aufgrund eines Vertrautheitsgefühls, für eine Person zu entscheiden, die objektiv möglicherweise nicht die optimale Besetzung ist. Oder, wir ermöglichen Menschen, die wir in den ersten Millisekunden unseres Zusammentreffens unbewusst als „irgendwie fremd“ wahrnehmen, gar nicht erst, ihr Potential zu zeigen.

Diese starke, meistens unbewusste Neigung, die man auch Ähnlichkeitseffekt nennt, ist aus meiner Sicht einer der wesentlichsten Hinderungsgründe, für ein faires Recruiting und Staffing.

Dieser Effekt wird übrigens auf Englisch ganz charmant Mini-Me Bias genannt und ist ziemlich präsent, wenn man sich mal den Spaß macht und sich Bilder von den Geschäftsführungen und Vorständen deutscher Unternehmen (insbesondere Mittelständler) anschaut.

 

Evolutionsbiologischer Grund

für diese Tendenz ist unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit – wenn mir ein Mensch (warum auch immer) vertraut erscheint, dann fühle ich mich einfach wohler. Mein Gegenüber wirkt mir sympathischer und es entsteht eine kognitive Leichtigkeit; ein angenehmes Gefühl des „wir verstehen uns auf Anhieb“.

Vor 20 Jahren war ich als junge HR-Business Partnerin für die Auswahl von technischen Trainees an einem großen Standort in einem schwäbischen Automobilzulieferkonzern zuständig. Das Thema „Unbewusste Denkmuster“ war damals noch unbekannt für mich. Und ich war ganz schön verstrickt in meine eigenen unbewussten Vorlieben und Abneigungen …

Auch die Schulungen, die ich erfolgreich zur professionellen Interviewführung absolviert hatte, haben mich hier nicht wirklich reflektierter werden lassen. Also stellte ich überproportional Physiker ein, denn die empfand ich in der Kommunikation als so interessant und ideenreich.

Und auch Bewerber aus Norddeutschland und NRW hatten von Anfang an beste Karten, denn das ist meine Heimat. Wer aus meiner Lieblingsstadt Kiel anreiste, war quasi schon an Bord. Vom ersten Blick auf die Bewerbungsunterlage hatten diese Kandidaten (Bewerberinnen waren leider eher die Ausnahme) aufgrund des Ähnlichkeitseffekts bessere Chancen und mit meiner positiven Grundstimmung ermöglichte ich ihnen, sich im Interview von ihrer besten Seite zu zeigen!

 

Es geht hier in erster Linie gar nicht um Frauen und Männer

sondern ganz allgemein um Eigenschaften an anderen, die uns vertraut erscheinen. Ähnlichkeiten z.B. in der Denke, der Herkunftsregion, im Werdegang, Universität, an Hobbies oder auch im Aussehen.

So wirklich wie Schuppen von den Augen fiel mir der Mini-Me Effekt, als ich einige Zeit später für die Betreuung und Auswahl der Assistent*innen der Geschäftsführer zuständig wurde. Was ich vorfand, war definitiv auffällig: große Geschäftsführer hatten auch eher große Assistenten; kräftigere Chefs schienen auch ähnliche Anlagen bei ihrem Assistenten zu schätzen und Physiker bevorzugten als Assistenten auch einen Physiker; nur jünger natürlich. Lediglich der für den HR-Bereich zuständige Geschäftsführer hatte eine Assistentin …

Die Bewerberin/der Bewerber muss gut ins Team passen

ein Satz, den ich sehr überdenkenswert finde. Klar, es ist einfach unkomplizierter, wenn sich alle von Anfang an gut verstehen und sich nicht erst zusammenraufen müssen. Man stelle sich ein junges, extrovertiertes Team vor, das mit viel Begeisterung Themen angeht und möglichst schnell viel umsetzen möchte.

Auch die Führungskraft sprüht vor Lebendigkeit und Ideen. Was dem Team allerdings manchmal fehlt, ist Themen kritisch zu hinterfragen und Zahlen, Daten und Fakten genauer zu analysieren, bevor Entscheidungen gefällt werden. Welche Chance hat nun ein/e Bewerber*in, der/die eher ruhig ist und gerne faktenbasiert arbeitet?

Aus meiner Erfahrung eher geringe, es sei denn die Führungskraft ist sehr reflektiert und sucht aktiv nach Kompetenzen, die im Team fehlen.

Und nun?

3 Tipps, um den „Schmidt sucht Schmidtchen-Effekt“ im Recruiting zu überwinden:

  • Search inside yourself: was sind deine Hot Buttons?

    Hot Buttons sind Eigenschaften anderer Menschen, auf die man besonders stark reagiert: positiv oder negativ. Und zwar in der Regel unbewusst und emotional.Wer seine persönlichen Hot Buttons kennt, macht sich unbewusste Denkmuster bewusst und kann rationaler reagieren. Falls dich das Thema weiter interessier, kannst du gerne das Arbeitsblatt „Hot Buttons auf der Spur“ bei uns anfordern.

  • Ersten Eindruck notieren

    Schreibe deinen ersten Eindruck sofort auf – sowohl nach dem ersten Blick auf die Bewerbungsunterlage als auch beim ersten Kennenlernen. Es gibt immer nur 3 Möglichkeiten: entweder ist der erste Eindruck positiv oder negativ oder neutral (was aus meiner Erfahrung eher selten der Fall ist). Selbst kleine Tendenzen (also leicht unsympathisch) beeinflussen den gesamten weiteren Verlauf des Recruitingprozesses! Wenn du noch ein wenig Zeit hast, dann schließe deine Augen für eine Sekunde und frage dich: woher könnte meine Einschätzung kommen – was kommt bei mir an Gedanken hoch?

  • Halte dich strikt an das Anforderungsprofil

    Ohne ein wirklich gutes Anforderungsprofil, das möglichst „biasfrei“ erstellt wurde, ist Tür und Tor für ein wenig objektives Recruiting offen und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des Ähnlichkeits- oder Sympathieeffekts groß. Hierzu werden wir in Kürze einen Blog verfassen.

 

Weiterführende Links:  

  • Elena Jaffé von der Universität Basel kommt mit ihrem Team zu dem Ergebnis, dass Menschen Diversität eher bei anderen favorisieren. Für sich selbst ziehen sie es meist vor, mit Personen zusammenzuarbeiten, die ihnen möglichst ähnlich sind. Demnach mache es einen Unterschied, ob man bei der Auswahl von Kollegen für sich selbst oder für Dritte entscheide.
  • Charlotte Sweeney und Fleur Bothwick, zwei US-amerikanische D&I Expertinnen berichten in ihrem Buch „Inclusive Leadership“ von zahlreichen Beispielen, wie folgenschwere unbewusste Denkmuster (wie auch der Mini-Me Bias) ganz offensichtlich Anwendung finden und nicht hinterfragt werden.