Gendergerechte Sprache – ist das wirklich nötig?

Eine traurige Geschichte

Ein Vater und sein Sohn fahren gemeinsam in ihrem Auto und haben einen schrecklichen Unfall. Der Vater ist sofort tot. Der Sohn wird mit dem Notarztwagen in das nächste Klinikum gefahren. Der aufnehmende Arzt untersucht den Jungen und meint, dass man für die Operation eine Koryphäe benötige.

Die Koryphäe kommt, schaut den Jungen auf dem OP-Tisch an und sagt: „Ich kann ihn nicht operieren; er ist mein Sohn.“ Wie kann das sein?

War deine erste Reaktion auch, wie bei den meisten: „Wie kann das sein, der Vater ist doch tot??“. Auch wenn das Wort Chirurg nicht explizit genannt wurde, so ruft unser inneres Bild eines Menschen am OP-Tisch meist erstmal ein Bild eines Mannes hervor und eher selten das einer Frau. Denn im Alltag nutzen wir hauptsächlich Begriffe wie „der Arzt“, „der Operateur“ oder eben auch „der Chirurg“.

Großgeworden bin ich im Ruhrgebiet – einer Region, die ich für ihre pragmatische und unprätentiöse Umgangskultur liebe. Daher habe ich auch viele Jahre das Thema „Gendergerechte Sprache“ abgewinkt – gerne mit dem Kommentar „da haben wir gerade echt andere Probleme“.

Zahlreiche Betriebsvereinbarungen wurden von mir im generischen Maskulinum (d.h. Verwendung einer männlichen Personenbezeichnung, die alle anderen Geschlechter umfassen soll) formuliert. Natürlich immer mit dem Disclaimer „zur besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet …“.

Sprache und Bewusstsein

Dass die Beschäftigung mit dem Thema sich lohnt, das ist mir in den letzten Jahren dann aber doch klar geworden. Denn Sprache beeinflusst die Bilder, die wir im Kopf haben – wie bei dem gerade aufgeführten Chirurgenbeispiel. Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung und damit unser Denken – und das Denken wiederum natürlich unser Handeln.

Werden ausschließlich Männer genannt, spiegelt sich das in unseren gedanklichen Vorstellungen wider: wird immer von Piloten gesprochen, so gehen wir erstmal davon aus, dass auch ein männlicher Pilot im Cockpit sitzt. Was Folgen haben kann, wie ich auf einem Flug von München nach Düsseldorf vor ein paar Jahren erlebte.

Mein Sitznachbar, um die 50 und im klassischen Businessoutfit, bekam Panik als er folgende Ansage aus dem Cockpit hörte: „Hallo, meine Name ist Franziska Bauer und ich begrüße Sie auf unserem Flug nach Düsseldorf; meine Co-Pilotin heute ist Nathalie Leist und ….“. Die genauen Namen habe ich natürlich nicht mehr im Kopf, dafür aber die Reaktion meines Sitznachbars: „das hat mir keiner gesagt, das geht ja wohl gar nicht!“. Er saß den ganzen Flug sehr angespannt neben mir und wollte sich auch nicht auf ein Gespräch mit mir darüber, warum das denn nicht ginge, einlassen.

 

Die Sapir-Whorf Hypothese

formulierte übrigens schon 1972, das Sprache unsere Vorstellung von der Welt prägt.  Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten hat gezeigt, dass der alleinige Gebrauch maskuliner Substantive/Pronomen für beide Geschlechter, die Menschen, die damit konfrontiert werden, zuerst an Männer denken lässt.

Frauen sind zwar möglicherweise mitgemeint, dies kann aber dazu führen, dass sie sich auch oftmals nicht angesprochen fühlen. Dies untermauert z.B. sehr eindrücklich eine Studie der FU Berlin mit Grundschulkindern:

Kinder, denen geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen präsentiert worden waren, trauten sich viel eher zu, einen „typisch männlichen“ Beruf zu ergreifen als Kinder, denen nur die männliche Pluralform genannt worden war.

 

Aber das ist doch zu umständlich und geht auf Kosten der Lesbarkeit …

JA – etwas umständlich mag dies zu mindestens am Anfang sein; wie bei allem Neuen – uns hat es aber auch Spaß gemacht und unsere Kreativität gefordert.

Und NEIN zum Thema Lesbarkeit: eine Studie der TU Braunschweig aus 2019 kommt zu dem klaren Ergebnis, dass geschlechterbewusste Sprache die Textverständlichkeit nicht beeinträchtigt.

 

Geschlechterneutrale Stellenanzeigen

sind ein heikles Thema und der Zusatz (m/w/d) ja auch schon allgemein geläufig.  Gleichzeitig ist auch eindeutig belegt, dass Frauen sich durch einen Stellenbezeichnung, die sich nur an einen Mann richtet, unbewusst weniger angesprochen fühlen.

 

Technischer Leiter und stellv. Betriebsleiter (m|w|d) für den Eigenbetrieb Stadtwerke (Ingenieur, Wassertechnologe, Umwelttechniker (m|w|d) o. ä.)

Abruf Stepstone 20.04.2020

Was tun?

Die naheliegende Idee, doch einfach den Gender*stern oder den Schrägstrich zu nutzen, scheint von Google schlechter gerankt zu werden. Auch wenn wir hoffen, dass dies sich zukünftig ändern wird, so empfiehlt sich derzeit ein Bindestrich (also z.B. Informatiker-in).

Google erkennt in diesem Falle zwei eigenständige Wörter (Informatiker und in). Das menschliche Auge soll den Bindestrich gar nicht wahrnehmen und jeder fühlt sich angesprochen.

 

Und nun?

Ein sensibler Umgang mit Sprache zielt darauf, alle Geschlechter einzubeziehen und damit auch direkt anzusprechen: dies gilt für alle Menschen, also auch Personen, die ihr Geschlecht nicht binär bestimmen.

Die Nutzung genderneutaler Sprache ist damit ein Puzzlestück in Richtung inklusive Unternehmenskultur – aus unserer Sicht ein wichtiges. Sprache befindet sich im steten Wandel. Von daher sollte genderneutrale Kommunikation eine Selbstverständlichkeit sein – ein Wettbewerbsvorteil ist sie darüber hinaus auch noch.

 

3 Tipps, um gendergerechte Sprache unkompliziert zu fördern

  • Einfach starten

    Ja, wir können natürlich erst das große Rad drehen – und in großen Unternehmen ist die Einbindung der Unternehmenskommunikation sicherlich für formale Texte anzuraten. Aber ansonsten hilft: einfach mal starten!
    In den eigenen Texten – Mails – Präsentationen. Mit den Kolleg*innen das Thema mal besprechen und mit offenen Augen durch den Alltag gehen! Und auch einen Blick auf die verwendeten Formulare und Verträge werfen.

  • Das Genderwörterbuch nutzen

    Wir schätzen geschicktgendern – wegen der vielen hilfreichen und unkomplizierten Tipps zur gendergerechten Sprache. Wir haben in diesem Blog daher keine Tipps zum WIE der gendergerechten Sprache gegeben – diese findet ihr dort. Selbst nutzten wir übrigens möglichst neutrale Begriffe oder das Gender*sternchen.

  • Perfekt gibt es nicht

    Bei gendergerechter Sprache geht es nicht um Perfektion – auch bei uns schleichen sich immer mal wieder nicht gendergerechte Formulierungen ein. Hier hilft Gelassenheit: es geht um die Haltung – und nicht um das 100% Ergebnis!

 

Weiterführende Links

Genderwörterbuch

Wunderbares kleines Video der Initiative Chefsache zum Beruf „Berufskanzlerin“.

Einen schönen Leitfaden mit vielen Beispielen und Hintergründen hat die Hochschule Emden – Leer entwickelt.